Caroline Stöppler - Guten Flug | New New York | Short Stories




 

 















  Unbenanntes Dokument
PROBELESEN  
  Leseproben aus dem Buch "Leben nach Plan und andere Irrtümer - Short Stories"


Ohne Worte

Das Geschäft mit Hochzeitsmoden ist gut besucht. Eine junge Frau steht vor dem Spiegel. Sie hat bereits das vierte Brautkleid an und kann sich noch immer nicht entscheiden.
Eine große schlanke Frau betritt das Geschäft und legt der Geschäftsführerin einen großen Zettel hin, auf dem steht: »Ist es ein Problem, mein Brautkleid zurückzugeben?«
Die Frau ist taubstumm. Die Geschäftsführerin notiert auf dem Zettel: »Möchten Sie es endgültig zurückgeben?«
Der Zettel wird herumgedreht . »Ja, ich bin mir sicher!«
»Dann kann ich Ihnen aber nur einen Gutschein geben«, schreibt die Geschäftsführerin.
»Ist okay«, lautet die Antwort. Dann schreibt die Taubstumme noch dazu: »Starren Sie mich nicht so an, ich will den Blödmann auf keinen Fall heiraten, also brauche ich auch das Brautkleid nicht.«
Der Zettel ist vollgeschrieben. »Sie können sich an der Kasse den Gutschein abholen«, schreibt die Geschäftsführerin noch drauf und verabschiedet sich.
Einige Tage später betreten ein junger Mann und eine junge Frau gemeinsam das Geschäft. Anwesende starren zu Ihnen hinüber. Normalerweise bleibt der zukünftige Bräutigam außen vor. Das Brautkleid sollte immer eine Überraschung sein. Die Geschäftsführerin schaut erstaunt, sie erkennt in der jungen Frau die Taubstumme wieder, die so selbstbewusst ihr Brautkleid zurückgegeben hatte.
Es liegt wieder ein Zettel da. »Ist das Brautkleid noch zu haben?«
»Hängt dort hinten«, schreibt die Geschäftsführerin.
Die junge Frau und ihr Begleiter strahlen, halten sich an den Händen, unterhalten sich dann in Gebärdensprache.
Der Zettel wird wieder beschrieben: »Wir haben uns wieder vertragen, und wir werden auf jeden Fall heiraten. Es war nur ein blöder Streit.«
Die Geschäftsführerin holt das Kleid und nimmt lächelnd den Gutschein. Die junge Frau schreibt noch etwas auf den Zettel, so dass ihr Begleiter es nicht lesen kann: »Er ist doch kein Blödmann!« Die Frauen lächeln und verabschieden sich.



Jägerzaun und Stacheldraht

Die Klingel an der Haustür hat einen angenehm hellen Ton. Die Fußmatte ist einladend, mit einem Herzlich Willkommen! Die Tür öffnet sich und eine Frau mit blondem Lockenkopf erscheint, den Griff der Haustür fest umklammert.
»Ja, bitte?«
»Guten Tag, mein Name ist Özkan. Ich habe Ihnen etwas Gebäck mitgebracht«, sagt die junge Frau lächelnd und überreicht ein Tablett. »Wir haben das Haus neben Ihnen gekauft und werden in den nächsten Tagen hier einziehen. Wir werden also bald Nachbarn sein.«
»Guten Tag, mein Name ist Vogel«, erwidert die zukünftige Nachbarin das Lächeln, den Griff der Haustür auch weiter fest umklammert, während sie das Tablett mit dem Gebäck in der anderen Hand hält.
»Wir haben schon gehört, dass Ausländer das Haus gekauft haben. Und mit vielen Kindern, sagte man uns« lächelte Frau Vogel verlegen. »Wir haben nur zwei Kinder, die noch zur Schule gehen.«
»Wir haben ebenfalls zwei Kinder, die noch zur Schule gehen«, freut sich Frau Özkan, nun ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden zu haben. Weiter kommt sie nicht.
»Wie man sehen kann, bekommen Sie aber noch ein Kind!«, sagt Frau Vogel und starrt auf den gewölbten Bauch ihrer zukünftigen Nachbarin. »Oder werden es vielleicht mehrere?«
»Ja, wir freuen uns sehr darauf – auf das eine Kind! Deshalb haben wir uns das große Haus gekauft, damit die Kinder im Garten spielen können.« Frau Özkan fährt mit der Hand zärtlich über ihren Bauch.
»Aber unsere Kinder gehen auf das Gymnasium! Und sie brauchen in der Mittagszeit Ruhe für ihre Schulaufgaben«, protestiert Frau Vogel. »Hier in Deutschland wird die Mittagsruhe eingehalten, und ich hoffe sehr, dass auch Sie sich an diese Regel halten!«
»Selbstverständlich! Auch unsere Kinder brauchen Ruhe in der Mittagszeit oder zum Schlafen. Wie Ihnen bekannt ist, legen wir Ausländer uns gerne auf die faule Haut – zumindest in der Mittagszeit, doch vor allen Dingen im Sommer«, schmunzelt Frau Özkan. »Ich muss jetzt gehen. War sehr nett, Sie kennen zu lernen, Auf Wiedersehen.«
Frau Vogel versucht zu lächeln. »Ja, vielen Dank für das Gebäck – es ist doch hoffentlich ohne Knoblauch?!«
Frau Özkan ist amüsiert über den besorgten Blick. »Da kann ich Sie beruhigen, denn wir Türken mit deutschem Pass kennen inzwischen auch viele Rezepte ohne Knoblauch, vor allem bei Gebäck. Doch nun muss ich mich wirklich verabschieden. Auf Wiedersehen.«
»Na gut, auf Wiedersehen«, verabschiedet sich Frau Vogel erleichtert, ohne die Hand zu geben, die noch immer den Türgriff fest umklammert hält.
Die Tür fällt ins Schloss. Frau Özkan steht noch auf der Fußmatte mit dem Herzlich Willkommen! Nachdenklich geht sie in Richtung ihres Gartentores. Rechts davon ist der Jägerzaun mit dem Stacheldraht ihrer zukünftigen Nachbarn. Das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen.



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