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Leseproben
aus dem Buch "Leben
nach Plan und andere Irrtümer - Short Stories"
Ohne Worte
Das
Geschäft mit Hochzeitsmoden ist gut besucht. Eine junge Frau steht
vor dem Spiegel. Sie hat bereits das vierte Brautkleid an und kann sich
noch immer nicht entscheiden.
Eine große schlanke Frau betritt das Geschäft und legt der
Geschäftsführerin einen großen Zettel hin, auf dem steht:
»Ist es ein Problem, mein Brautkleid zurückzugeben?«
Die Frau ist taubstumm. Die Geschäftsführerin notiert auf dem
Zettel: »Möchten Sie es endgültig zurückgeben?«
Der Zettel wird herumgedreht . »Ja, ich bin mir sicher!«
»Dann kann ich Ihnen aber nur einen Gutschein geben«, schreibt
die Geschäftsführerin.
»Ist okay«, lautet die Antwort. Dann schreibt die Taubstumme
noch dazu: »Starren Sie mich nicht so an, ich will den Blödmann
auf keinen Fall heiraten, also brauche ich auch das Brautkleid nicht.«
Der Zettel ist vollgeschrieben. »Sie können sich an der Kasse
den Gutschein abholen«, schreibt die Geschäftsführerin
noch drauf und verabschiedet sich.
Einige Tage später betreten ein junger Mann und eine junge Frau gemeinsam
das Geschäft. Anwesende starren zu Ihnen hinüber. Normalerweise
bleibt der zukünftige Bräutigam außen vor. Das Brautkleid
sollte immer eine Überraschung sein. Die Geschäftsführerin
schaut erstaunt, sie erkennt in der jungen Frau die Taubstumme wieder,
die so selbstbewusst ihr Brautkleid zurückgegeben hatte.
Es liegt wieder ein Zettel da. »Ist das Brautkleid noch zu haben?«
»Hängt dort hinten«, schreibt die Geschäftsführerin.
Die junge Frau und ihr Begleiter strahlen, halten sich an den Händen,
unterhalten sich dann in Gebärdensprache.
Der Zettel wird wieder beschrieben: »Wir haben uns wieder vertragen,
und wir werden auf jeden Fall heiraten. Es war nur ein blöder Streit.«
Die Geschäftsführerin holt das Kleid und nimmt lächelnd
den Gutschein. Die junge Frau schreibt noch etwas auf den Zettel, so dass
ihr Begleiter es nicht lesen kann: »Er ist doch kein Blödmann!«
Die Frauen lächeln und verabschieden sich.
Jägerzaun
und Stacheldraht
Die Klingel an der
Haustür hat einen angenehm hellen Ton. Die Fußmatte ist einladend,
mit einem Herzlich Willkommen! Die Tür öffnet sich und eine
Frau mit blondem Lockenkopf erscheint, den Griff der Haustür fest
umklammert.
»Ja, bitte?«
»Guten Tag, mein Name ist Özkan. Ich habe Ihnen etwas Gebäck
mitgebracht«, sagt die junge Frau lächelnd und überreicht
ein Tablett. »Wir haben das Haus neben Ihnen gekauft und werden
in den nächsten Tagen hier einziehen. Wir werden also bald Nachbarn
sein.«
»Guten Tag, mein Name ist Vogel«, erwidert die zukünftige
Nachbarin das Lächeln, den Griff der Haustür auch weiter fest
umklammert, während sie das Tablett mit dem Gebäck in der anderen
Hand hält.
»Wir haben schon gehört, dass Ausländer das Haus gekauft
haben. Und mit vielen Kindern, sagte man uns« lächelte Frau
Vogel verlegen. »Wir haben nur zwei Kinder, die noch zur Schule
gehen.«
»Wir haben ebenfalls zwei Kinder, die noch zur Schule gehen«,
freut sich Frau Özkan, nun ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden
zu haben. Weiter kommt sie nicht.
»Wie man sehen kann, bekommen Sie aber noch ein Kind!«, sagt
Frau Vogel und starrt auf den gewölbten Bauch ihrer zukünftigen
Nachbarin. »Oder werden es vielleicht mehrere?«
»Ja, wir freuen uns sehr darauf – auf das eine Kind! Deshalb
haben wir uns das große Haus gekauft, damit die Kinder im Garten
spielen können.« Frau Özkan fährt mit der Hand zärtlich
über ihren Bauch.
»Aber unsere Kinder gehen auf das Gymnasium! Und sie brauchen in
der Mittagszeit Ruhe für ihre Schulaufgaben«, protestiert Frau
Vogel. »Hier in Deutschland wird die Mittagsruhe eingehalten, und
ich hoffe sehr, dass auch Sie sich an diese Regel halten!«
»Selbstverständlich! Auch unsere Kinder brauchen Ruhe in der
Mittagszeit oder zum Schlafen. Wie Ihnen bekannt ist, legen wir Ausländer
uns gerne auf die faule Haut – zumindest in der Mittagszeit, doch
vor allen Dingen im Sommer«, schmunzelt Frau Özkan. »Ich
muss jetzt gehen. War sehr nett, Sie kennen zu lernen, Auf Wiedersehen.«
Frau Vogel versucht zu lächeln. »Ja, vielen Dank für das
Gebäck – es ist doch hoffentlich ohne Knoblauch?!«
Frau Özkan ist amüsiert über den besorgten Blick. »Da
kann ich Sie beruhigen, denn wir Türken mit deutschem Pass kennen
inzwischen auch viele Rezepte ohne Knoblauch, vor allem bei Gebäck.
Doch nun muss ich mich wirklich verabschieden. Auf Wiedersehen.«
»Na gut, auf Wiedersehen«, verabschiedet sich Frau Vogel erleichtert,
ohne die Hand zu geben, die noch immer den Türgriff fest umklammert
hält.
Die Tür fällt ins Schloss. Frau Özkan steht noch auf der
Fußmatte mit dem Herzlich Willkommen! Nachdenklich geht sie in Richtung
ihres Gartentores. Rechts davon ist der Jägerzaun mit dem Stacheldraht
ihrer zukünftigen Nachbarn. Das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen.
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